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Ein perfektes Doppel

Interview

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Gibt es so etwas wie einen Mädchenschwarm im professionellen Springsport – etwa wie

Justin Bieber bei den Popstars oder Mats Hummels im Fußball? Na klar, sogar gleich zwei!

Die Zwillingsbrüder Olivier und Nicola Philippaerts gehören nicht nur zu den besten Nach-

wuchstalenten ihres Fachs, mit ihrem Charme im Doppelpack haben sie außerdem das Zeug

dazu, Herzen zu brechen.

Gerade mal 23 Jahre sind Olivier und Nicola alt, doch mit gleicher-

maßen herausragenden Leistungen haben es die beiden bereits in

die Geschichtsbücher des Sports geschafft. Olivier, als er mit 19

Jahren vor Beezie Madden und seinem Vater Ludo den prestige-

trächtigen Grand Prix im kanadischen Spruce Meadows gewann,

Nicola, als er sich zwei Jahre später gegen die besten Springreiter

der Welt im Weltcupfinale in Göteborg durchsetzen konnte. Für bei-

de waren diese Siege Wendepunkte, ja Meilensteine ihrer Karriere –

nichts sollte danach sein, wie zuvor: „Noch heute spüre ich die Aus-

wirkungen “, sagt Olivier; „das Weltcupfinale zu gewinnen hat mir

einen enormen Schub nach vorne gegeben“, bestätigt auch Nicola.

Der frühe Erfolg der Belgier kommt nicht von ungefähr – ihr Vater

Ludo Philippaerts gehörte bis zu dem Ende seiner aktiven Karriere

vor knapp zwei Jahren zur Elite des internationalen Springsports.

Schon in jungen Jahren standen den Brüdern damit alle Türen of-

fen: „Es hilft natürlich sehr, einen Vater zu haben, der seit 30 Jahren

im Geschäft ist und weiß, wie der Hase läuft. Das ist sicherlich der

größte Vorteil, den wir gegenüber unseren Konkurrenten haben“, so

Nicola. So standen den beiden von Anfang an talentierte Pferde und

ein eingespieltes Management zur Verfügung. Doch eine gute finan-

zielle und logistische Ausgangssituation allein macht noch keinen

Superstar. Für Olivier und Nicola ist harte Arbeit und eine brennen-

de Leidenschaft für das was sie tun das „Geheimnis“ ihres Erfolgs.

Dass sie das mit der harten Arbeit absolut ernst nehmen beweist ihr

straffer Zeitplan – abgesehen von einer Woche Familienurlaub nach

den Weihnachtsfeiertagen nehmen sich die Zwillinge nur sehr sel-

ten frei. „Zwinge mich ja nicht dazu, länger als drei Tage an einem

Strand zu liegen, da wird mir langweilig. Eine Woche Urlaub ist ge-

nug“, sagt Nicola passend dazu mit einem Schmunzeln. „Entspann-

te Tage sind rar in unserem Business, der Druck ist konstant hoch.

Aber wenn man seinen Job liebt, kommt man gut damit zurecht“,

findet auch Olivier.

Das mit dem Druck ist so eine Sache. An der Spitze der besten

Springreiter wird es immer enger, manchmal entscheidet ein Wim-

pernschlag über Sieg oder Niederlage. Um mit den enormen psy-

chischen Anforderungen umzugehen, schwört Olivier auf mentales

Training. „Es hilft mir, fokussiert zu bleiben“, erklärt er. Sich Inspi-

ration von allen Seiten zu holen, gehört auch zum Master-Plan der

Brüder. So kommt etwa einmal die Woche ein Dressurtrainer auf die

Anlage, von Zeit zu Zeit arbeiten sie gar mit alteingesessenen Profis

wie Ludger Beerbaum. Konstant auf einem Niveau, das sich regel-

mäßig nach oben korrigiert, erfolgreich zu bleiben, erfordert aber vor

allem eines: gute Pferde. Das wissen auch die Philippaerts-Brüder.

Mit dem Handelsstall der Familie im Rücken ist den Brüdern ein

stetiger Nachschub an jungen Pferden garantiert, gleichzeitig heißt

das aber auch, dass sie das eine oder andere wirklich gute Pferd

manchmal gehen lassen müssen. So geschehen etwa mit Carlos

und Cortez, zwei Spitzenpferde von Nicola, die in kurzen Abständen

verkauft wurden: „Natürlich ist es nicht schön, seinen Top-Sport-

partner zu verlieren. Aber um das Unternehmen am Leben zu hal-

ten, sind solche Maßnahmen eben erforderlich. Wenn das wirklich

große Geld im Spiel ist, ist es schwer, bestimme Pferde zu halten“,

sagt Nicola. „Es ist eine große Herausforderung, dass sich in un-

serem Sport so vieles um Geld dreht“, fügt Olivier hinzu. „Für viele

sehr gute Reiter scheitert es oft an den finanziellen Möglichkeiten

– das ist sehr schade. Ich glaube dieses Ungleichgewicht wird in Zu-

kunft noch größer werden und wir müssen einen Weg finden, damit

zurechtzukommen.“

Während viele Reiter heutzutage Pferde wie Autos kaufen würden,

gehe wahres Horsemanship verloren, sagte Ludo Philippaerts ein-

mal in einem Interview. Das sehen auch seine Söhne so. Von ihrem

Vater haben sie gelernt, dass nur ein glückliches Pferd auch ein

erfolgreiches Pferd ist. So gibt es auf der Philippaertschen Anlage

weder Führanlage noch Laufband – für genügend Bewegung sorgen

lange Spaziergänge oder Ausritte im Wald sowie täglicher Koppel-

gang. Doch wie steht es momentan überhaupt um den vierbeinigen

Kader der Brüder? Nicolas aktuelle Nummer 1 ist H&M Forever Dar-

co. Er ist ein Nachkomme Darcos, dem legendären dunkelbraunen

Hengst, mit dem Vater Ludo bis zu olympischem Niveau gestartet

ist und der heute zu den zehn besten Vererbern in der Zucht von

Springpferden zählt. Mit ihm konnte sich Nicola erneut für das Welt-

cupfinale qualifizieren – man darf gespannt bleiben, ob er seinen

Sieg mit Cortez vor vier Jahren wiederholen kann. Bei Olivier ist es

immer noch H&M Cabrio v/d Heffnick, auf dem alle Hoffnungen

ruhen. Seit sieben Jahren sind die beiden ein unschlagbares Team,

haben von Nationenpreisen, Weltcups und 5-Sterne Grand Prix

schon alles abgeräumt. Und dann sind da freilich noch zahlreiche

Nachwuchstalente, die auf der Philippaertschen Anlage für die ganz

großen Klassen herangezogen werden.

Wer von den beiden kann das eigentlich besser? Junge Pferde aus-

bilden? Das sei schwer zu sagen. Einen Vergleich ziehen zu wollen

ist bei den Brüdern sowieso fast unmöglich. Beide haben ihre Stär-

ken, ihre Schwächen. So sei Nicola der temperamentvolle – je mehr

Druck, desto besser seine Leistung. Olivier hingegen funktioniere

„Wir sind mit derAtmosphäre großer Turniere

aufgewachsenen. UnserenVater besonders nach Siegen

immer so glücklich zu sehen - das hat uns für unsere

Karriere angetrieben und motiviert.“

Olivier Philippaerts

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